Eine Liste des Lebens, die bewegt

Eine Liste des Lebens, die bewegt

Die beiden Euskirchener Gymnasien setzen ein Zeichen gegen Antisemitismus und für eine menschliche Zukunft: Knapp 200 Schülerinnern und Schüler des Emil Fischer-Gymnasiums und der Marienschule Euskirchen schauen gemeinsam „Schindlers Liste“ und besuchen anlässlich des Gedenkens rund um den 9. November eine multimediale Präsentation.

„Diese Liste ist das Leben, drumherum das Verderben“, sagt der fiktive Izhak Stern im berühmten Film „Schindlers Liste“, nachdem er als Geschäftsführer des erneut fiktiven Oskar Schindler die Liste der Rettung tippt und erkennt, dass dieser die jüdischen Arbeiterinnen und Arbeiter auf eigene Rechnung freikauft und so vor der Vernichtung der Juden in den Gaskammern der deutschen Nazis bewahrt.

Es ist eine der vielen bewegenden Szenen des knapp dreistündigen Spielfilms, die berühren, nachdenklich machen, jede Besucherin und jeden Besucher betreffen und den Kinobesuch am Vormittag des 5. November so besonders machen – und es sind so viele Szenen, die ins Mark treffen:

Mal ist es der Kniff Spielbergs, nur den Mantel eines kleinen Mädchens im Schwarz-Weiß-Film rot zu färben und symbolisch das eine kleine Schicksal herauszugreifen, mal der wahnsinnig werdende SS-Mann, der das infernalische Verbrennen der jüdischen Opfer selbst nicht mehr fassen kann, mal der Moment, als der kleine Junge vor Angst vor der Vernichtung in den Abort springt – und auf Rettung hofft…

In zwei Kinosälen des Cineplex in Euskirchen herrscht in all diesen Momenten absolute Ruhe, gespannte Konzentration und aufmerksame Betroffenheit. Zu Gast sind die alle Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase in die Oberstufe, der Stufe 11, beider örtlichen Gymnasien, die eingangs gemeinsam im Saal 1 zur Begrüßung versammelt worden waren und es war ein beeindruckendes Bild, die knapp 200 jungen Menschen dort zu sehen und dann zu erleben, wie gebannt sie dem Film mit diesem wahrlich nicht leichten Thema verfolgten.

Anlässlich des Gedenkens rund um den 9. November waren sie hier zum ersten Mal in der Form zusammengekommen, um sich dem irrwitzigen, brutalen Treiben der gewissenlosen NS-Mörder zu stellen und sich mit der furchtbaren Wahrheit hinter dem Hollywoodstreifen auseinanderzusetzen.

Der neue stellvertretende Schulleiter des Emil-Fischer Gymnasiums, Herr Schocke, fand sehr sensible Worte im Rahmen der Begrüßung und betonte neben der Bedeutung dieses gemeinsamen Zeichens beider Schulen gegen Antisemitismus und Rassenhass beider Gymnasien auch die jüdischen Wurzeln des herausragenden Regisseurs Steven Spielbergs, mit dem es vor der Sonderveranstaltung auch ein filmisches Interview gab, das die Bedeutung des 25-Jahre alten, zeitlosen Spielfilms für die heutigen Zeiten unterstrich. Die Schülerin Jessy Dück vom Emil-Fischer-Gymnasium kommentierte den Kinobesuch mit folgenden Worten: „Meiner Meinung nach war es sehr sinnvoll, den Film „Schindlers Liste” zu schauen. Schließlich konnte man dadurch eine viel bessere Vorstellung von den Lebensumständen der Juden haben und ein besseres Bild bekommen.“

Zwei Tage nach dem Kinobesuch trafen die Jugendlichen, eingeladen vom Schulleiter der Marienschule, Herrn Michael Mombauer, erneut zusammen und folgten in der Aula der Marienschule einer multimedialen Präsentation über Jerzy Groß, einem sog. Schindler-Juden, der in Wirklichkeit die Stationen erlebte, die man zuvor als Spielfilm gesehen hatte – und durch die Mischung aus Lesung, Film- und Fotografiepräsentation und Gespräch, begleitet durch die eindringliche Musik des phantastischen Violinisten Paul Rosner, selbst Jude und Ukrainer und nun schon so oft der Verfolgung und einem unglaublichen Leid ausgesetzt, bekam die Auseinandersetzung mit dem Schrecken noch einmal eine andere Dimension. Nun waren alle in der traurigen Wirklichkeit angekommen.

Diese Präsentation der Journalistin Angela Krumpen mit ihrer sensiblen, nachdenklich machenden, durchaus leisen und nicht effektheischenden Erzählung berührte viele, viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, und spätestens, wenn Paul Rosner von seinen alltäglichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus in seiner Heimatstadt Düsseldorf (!) berichtet, stockt einem der Atem und man erkennt die scheinbar immer währenden Vorurteile, Stereotypen und die antisemitische Hasspropaganda, die genährt wird von der intoleranten Unmenschlichkeit extremistischer linker, rechter, muslimischer, christlicher oder migrantischer Kreise, die so viele immer wieder in den Bann schlägt, über alle nationalen, sozialen und religiösen Grenzen hinweg: Der Hass kennt leider seine Schnittmenge. „Positiv fielen mir die Bilder und Geschichten auf, welche tatsächlich exakt so passiert sind, wie die Sache mit den Hunden oder den eindrucksvollen Bildern der anderen Insassin“, erklärte Frederik Scholz vom Emil-Fischer-Gymnasium.

Doch Hoffnung auf eine bessere Zukunft bringt Paul Rosner auch zum Ausdruck, der sich wünscht, dass alle Unterschiede überwunden werden und nur der Mensch als Mensch zählen möge und jede und jeder sich angenommen fühlen solle. Genau diese Hoffnung, dieser Optimismus, dass man die Welt im Kleinen prägen und verbessern kann, trägt jedes gesellschaftliche Engagement und sollte gerade jungen Menschen ein Vorbild sein.

Und genau dieses Zeichen des gemeinschaftlichen, übergreifenden, hoffnungsvollen und optimistischen Lebensentwurfes wollten beide Gymnasien setzen und die Schülerschaft bewies, dass wir auf die Zukunft bauen dürfen.

Danke, dass die beiden Gymnasien so zusammengearbeitet haben, das war ein Geschenk und sollte wiederholt werden, und danke an die jungen Menschen für ihr sichtbares Statement der Menschlichkeit und der Geschlossenheit für eine offene, pluralistische, demokratische Zukunft – in der alle zusammen MENSCHEN sein dürfen.

Danke auch an das Kino mit Ihrem Geschäftsführer Herrn Arenz, der den Film zum Selbstkostenpreis zeigte und uns organisatorisch unterstützte und dieses Votum gegen Antisemitismus erst ermöglichte.

von Michael Mombaur