Literaturquartett: Eine Lesung von Schülern der Marienschule

Literaturquartett: Eine Lesung von Schülern der Marienschule

Wie spannend die Auseinandersetzung mit anspruchsvoller europäischer Gegenwartsliteratur sein kann, stellten die Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses „Schreiben“ des Gymnasiums Marienschule Euskirchen auf ihrer Lesung „Literaturquartett“ eindrucksvoll unter Beweis. Ein Jahr lang hatte der Kurs die sechs für den Euregio-Schüler-Literaturpreis nominierten Romane gelesen und eigene Schreibprojekte zu diesen Büchern realisiert. Vier dieser Bücher und eigene Texte dazu stellten sie dem aufmerksamen Publikum am 28.06.2016 vor.

Die Veranstaltung fand im Literaturraum der Marienschule statt, den die Kursteilnehmer zuvor behaglich mit dekorierten Bistrotischen für die Gäste und einem bequemen Sessel für die Vortragenden eingerichtet hatten. Damit das Publikum schon ein wenig in die Romane hineinschnuppern konnte, waren diese auf den Tischen und Fensterbänken ausgelegt worden.

Zu Beginn des Literaturquartetts umriss der Moderator Max die Arbeit des Literaturkurses „Lesen“ im Rahmen des Euregio-Schüler-Literaturpreises. „Wir sind viel gereist“, hob er hervor. Damit sich das Publikum ein Bild von den Fahrten zu verschiedenen literarischen Veranstaltungen in Belgien, den Niederlanden und Aachen machen konnten, spielte Leon einen Kurzfilm ein, den er mit Unterstützung seiner Arbeitsgruppe selbst erstellt hatte. Zu allen folgenden Lesebeiträgen präsentierte Leon passende Bilder.

Anschließend boten vier Expertengruppen den Zuhörern mit Bedacht gewählte Kostproben aus den nominierten Romanen und ihrer eigenen literarischen Arbeiten dar. Zum Auftakt las Timo aus dem Roman „Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte“ der französischen Autorin L. Lafon. Im Zentrum dieses Buches steht der Werdegang der rumänischen Ausnahmeturnerin Nadia Comaneci, die mit ihrer Stufenbarrenkür 1976 auf der Olympiade in Montreal für Furore sorgte, aber vom kommunistischen Regime gnadenlos für Propagandazwecke vereinnahmt wurde. Eric überzeugte mit dem auswenigen Vortrag eines Gedichts über das „Wunder von Montreal“.

Der zweite Block widmete sich dem Roman „Die Glücksfabrik“ der Niederländerin Saskia Goldschmidt. Er erzählt vom Werdegang des skrupellosen Unternehmers Mordechai de Paauw, der eine Hormonfabrik gründet und ein Testosteronpräparat an seinem ahnungslosen Bruder testet, was zu einer Katastrophe führt. Lara, Carla, Saskia und Tamara lasen einen ausgewählten Abschnitt mit verteilten Rollen und trugen im Anschluss selbst verfasste Gedanken von Romanfiguren über de Paauw vor.

Während der anschließenden Pause wurden die Zuhörer mit Keksen, Brezeln und Getränken versorgt, dann ging es weiter mit dem dritten Beitrag über den Roman „Die Lebenden reparieren“ von Maylis de Kerangal, einem bei aller Ernsthaftigkeit wunderbaren Roman, der die Schüler zu einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Tod bewegte und gleichzeitig das Leben feiert. Der neunzehnjährige Simon Limbres verunglückt tödlich auf der Rückfahrt von einer Surfsession; seine Organe, darunter sein Herz, werden zur Transplantation freigegeben. Carla, Simone und Kekeli verdeutlichten mit ihrem Romanausschnitt die virtuose Prosa der französischen Autorin. Umso überraschender war für das Publikum die herausragende literarische Qualität eines selbst erdachten Schlusskapitels, das die Schülerinnen danach vorlasen. In ihrem einfühlsamen, poetischen Romanende malten sie mit viel Liebe zum Detail ein literarisches Bild von einer möglichen Begegnung zwischen der Empfängerin des Herzens und den Eltern von Simon Limbres.

Zum Schluss präsentierten Luca, Moritz und Fabian einen humorvollen Ausschnitt aus dem Roman des Literaturpreisträgers, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“. Dieses Buch erzählt von der Kindheit des Ich-Erzählers Joachim, der auf dem Gelände einer Jugendpsychiatrie aufwächst, die von seinem Vater geleitet wird. Die Zuhörer wurden mit Joachims Vater bekannt gemacht, der bei seinem ersten Jogging-Versuch kläglich scheitert, obwohl er in der Theorie wirklich alles über den Laufsport weiß. Was ihm an diesem Roman besonders gefällt, verriet anschließend Fabian, der seine brillant formulierte Rezension vortrug. Darin gab er Beispiele für den „Seltenheitscharakter“ von Joachims Kindheit und ging sowohl auf das Spannungsverhältnis zwischen Realem und Erfundenem als auch auf das wichtige Thema Tod ein. Die Schülergruppe fand das Buch jedenfalls so originell, dass sie gleich mehrere Stellen als Hörbuchszenen aufnahm, darunter auch ein Kapitel über den Geburtstagskaffeeklatsch des Vaters, der einige Patienten zu seiner Geburtstagsfeier einlädt, wie z. B. Dietmar, welcher den Direktor ununterbrochen mit Fragen bombardiert, oder Margret, die ohne Punkt und Komma spricht. Aber was ist schon normal, fragten sich bestimmt einige Gäste während des Hörens.

In den Augen der begeisterten Zuhörer war eines klar: Kurzweiliger kann man keine Lesung über durchaus anspruchsvolle aktuelle Romane gestalten! Dadurch, dass jede Gruppe ihr Schwerpunktbuch auf ganz individuelle Weise vorstellte, kam zu keiner Zeit Langeweile auf. Den jungen Leuten gebührt ein großer Respekt für diese außerordentliche Leistung.

Literaturquartett

M. Kleinebreil

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