Esther Bejarano

Esther Bejarano

Von Cedric Arndt

“Sie fuhren direkt ins Gas”, berichtete Esther Bejarano mit belegter Stimme und benötigte im Anschluss einige Sekunden, um weitersprechen zu können. Bei ihrer Lesung in der Marienschule Euskirchen am 12. Februar erzählte sie den knapp 600 anwesenden Gästen von ihren erschreckenden Erlebnissen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. “Eng zusammengepfercht wurden wir mit einem Viehtransport ins Lager deportiert und schon die Reise dorthin kostete die Alten und Schwachen das Leben.” Am Zielort angelangt wurden die kräftigen, noch arbeitsfähigen jüdischen Gefangenen vom Rest der Gruppe getrennt und in ehemaligen Pferdeställen untergebracht. Alle anderen landeten sofort darauf in der Gaskammer.

Für die Überlebenden begann eine Zeit der Qual, voller Demütigung, Folter, Krankheit und Hunger. “Wir alle bekamen eine Nummer eintätowiert, meine war die 41948”, so Bejarano. Namen spielten von diesem Augenblick an keine Rolle mehr. Tag für Tag musste die heute 95-jährige und die restlichen Gefangenen sinnlose und körperlich aufreibende Arbeit verrichten. Stundenlang wuchteten sie schwere Steine von einem Ort zum anderen, nur um sie am darauffolgenden Tag wieder zurückzuschleppen. Ein Leib trockenes Brot pro Woche und eine trübe Brühe, die die Männer und Frauen der SS als “Tee” bezeichneten, waren alles, was ihnen als Verpflegung überlassen wurde.

Aus eigener Kraft hätte Esther Bejarano diese Qualen, wie sie selbst sagt, nicht lange durchgehalten, doch mehrfach half ihr selbst in dieser grausamen Situation das Glück, um zu überleben. “Als in der Baracke Frauen für ein Orchester gesucht wurden, wurde ich vorgeschlagen, da ich Klavier spielen konnte.” Leider gab es im Konzentrationslager kein Klavier, sondern lediglich ein Akkordeon, ein Instrument, das sie nie zuvor in Händen gehalten hatte. “Wie durch ein Wunder hat es trotzdem geklappt und ich traf die richtigen Akkorde.” Die Aufnahme in das KZ-Orchester rette Esther Bejarano das Leben. “In meiner neuen Unterkunft gab es echte Betten und wir hatten die Möglichkeit unsere Essensrationen gegen warme Kleidung einzutauschen.” Auch habe es abends eine Art Suppe gegeben, bestehend aus heißem Wasser und Kartoffelschalen oder Brennnesseln. “Sie schmeckte scheußlich, aber wir aßen sie wegen der Wärme.” Zwar wurde die körperliche Belastung reduziert, doch die seelische blieb. Das kleine Orchester hatte nämlich unter anderem die Aufgabe, neue Gefangene mit Musik zu begrüßen. “Viele dachten sicher, wo Musik spielt, da kann es so schlimm nicht sein. Und dennoch fuhren sie direkt in den Tot.”

Eine gefühlte Ewigkeit später folgte eine Aufforderung der SS, laut der sich die Gefangenen mit arischen Wurzeln zu melden hätten. Diese hätten nämlich die Möglichkeit, in ein anderes Arbeitslager gebracht zu werden und dem Tod im KZ zu entkommen. “Ich hatte eine christliche Großmutter und war somit selbst zu einem Viertel arischer Abstammung”, so Bejarano. “Der Abschied von meinen mitgefangenen Freundinnen fiel mir sehr schwer. Aber sie sagten mir, ich hätte Pflicht nachfolgenden Generationen von den Schrecken, die wir erlebt haben, zu berichten.” Tatsächlich wurde sie bald darauf in ein Lager in Ravensbrück überführt und erfuhr dort zum ersten Mal von dem sich anbahnenden Kriegsende und dem Rückzug der Nazis. Als auch das Gefangenenlager geräumt wurde, gelang es Esther Bejarano und sechs weiteren Frauen sich von der Kolonne abzusetzen und sie fanden in einem nahegelegenen Dorf Unterschlupf. Dort trafen sie schließlich auch auf einige amerikanische Soldaten. “Als sie erkannten, dass wir KZ-Gefangene waren, nahmen sie uns in die Arme und luden uns sofort zum Essen ein.” Noch am selben Abend erreichten aus entgegengesetzter Richtung auch russische Soldaten den kleinen Ort und die Erleichterung über das Ende des Krieges brach sich Bahn. “Ich werde das Bild nie vergessen, wie amerikanische und russische Soldaten auf dem Marktplatz ein großes Bild Hitlers anzündeten und wir alle vor Freude tanzten. Dies war nicht nur meine Befreiung vom Hitler-Faschismus, sondern auch meine zweite Geburt.”

Mit zahlreichen Lesungen wie am Mittwoch in der Marienschule hat Esther Bejarano ihr Versprechen, von den Gräueltaten zu berichten, eingehalten. Von ihrem Publikum, von dem bis zu diesem Augenblick kein einziges Geräusch zu hören war, wurde sie mit langanhaltenden stehenden Ovationen belohnt. “Es ist etwas völlig anderes, das alles von einem Menschen zu hören, der wirklich dabei war”, kommentierte Marienschülerin Jula. “Die Überzeugung, mit der sie Auftritt, damit so etwas nie wieder passiert, ist bewundernswert”, stimmte Klassenkameradin Melina zu. Ihr Statement gegen den Faschismus machte Esther Bejarano am Mittwoch jedoch nicht nur anhand ihrer Lesung deutlich. Zum Abschluss holte sie sich mit Sohn Jorem Bejarano und Adoptivenkel Kutlu Yurtseven musikalische Unterstützung auf die Bühne. Bei Liedvorträgen wie der Hymne der israelischen “Frieden-Jetzt”-Bewegung stimmte die 95-jährige Live mit ein und begeisterte sogar mit einigen vorsichtigen Tanzschritten. “Die Vergangenheit darf nicht vergessen werden”, so Yurtseven. “Wir müssen unser Schweigen brechen und dürfen nicht wegsehen.”

Esther Bejarano – Eine lebende Mahnung

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