Nie wieder! Schon wieder? Immer wieder!?

Nie wieder! Schon wieder? Immer wieder!?

Ein Gedenken an die Pogromnacht am 09. November in Euskirchen

von Vassil Svechtarov

Euskirchen Klirrende Kälte durchdringt die Kleidungsschichten. Mit der gleichen Beständigkeit umhüllt die Schwärze der Nacht langsam die Gassen. Die Rollladen der Geschäfte werden runter gelassen. Eine Prozession von etwa 150 Menschen läuft der Neustraße in Richtung Annaturmplatz entlang. Viele tragen ein Licht in der Hand. Eine Kerze, als Gedenken an eine ähnliche Novembernacht vor 81 Jahren. Die Pogromnacht (Pogrom, aus dem Russischen – Vernichtung). Nicht die Kälte der Jahreszeit, sondern die bittere Kälte in den Herzen der Menschen war damals Schuld für die folgenden unfassbaren Ereignisse. „Nie wieder“ lautete das Versprechen des deutschen Volkes an alle nachfolgenden Generationen von Erdbewohnern. Damit dieses Versprechen nicht zur Floskel wird. Damit das Bewusstsein aller denkenden und fühlenden Menschen wach gehalten wird, und das Handeln von jedem Einzelnen im Dienste der Demokratie und der Humanität steht. Dafür – erinnern, aufarbeiten und gedenken.

In der Mensa der Gesamtschule in Euskirchen fand am Samstag eine Gedenkveranstaltung statt. Bürgermeister Dr. Uwe Friedl richtete seine Eröffnungsrede nicht nur an die versammelten Gäste, sondern an alle Mitmenschen, denen der Erhalt unseres unschätzbaren Friedens wichtig ist. Auf etwa 24.000 wird die Anzahl der Träger rechtsextremen Gedankenguts in Deutschland geschätzt. Ein Gedankengut dessen Werk im vergangenen Jahr allein in NRW zu 420 Übergriffen auf jüdische Mitbürger geführt hat. Oder zum Tod zweier Menschen in Halle vor nur einem Monat!„Erschreckend“, wie Dr. Friedl meinte, „traurig und beschämend zugleich!“. Der Bürgermeister von Euskirchen machte ausdrücklich klar, dass die Tatsache, dass nur die Tür der Synagoge in Halle, also nicht etwa wachsame Mitmenschen oder die verantwortungsvolle Gesellschaft, sondern lediglich die Technik, eine unsagbare Tragödie verhindert hat, ein erschreckendes Beispiel über die Parallele zur damaligen Situation darstellt. Die gesellschaftliche Situation in Deutschland, aus der die Ermordung von 6.3 Millionen Menschen entstanden ist!

Nie wieder? Schon wieder? Oder immer noch!?

Im Rahmen der Veranstaltung haben Schüler der Gesamtschule Euskirchen, der Marienschule und des Emil Fischer Gymnasiums ihre unterschiedlichen Projekte vorgestellt: Patenschaft über die Stolpersteine in der Stadt, philosophische Auseinandersetzung mit der Frage danach, ob der Mensch gut oder böse ist und das Erinnern an das tragische Schicksal von Eltern und Kindern, die durch den gewaltsamen Tod voneinander getrennt wurden. Ganz gleich mit welchem Projekt, die SchülerInnen haben ihr bemerkenswertes soziales Engagement unmissverständlich unter Beweis gestellt.

Den Abschluss der Gedenkveranstaltung gestalteten Pfarrer Edgar Hoffmann als Vertreter der evangelischen und der pastorale Referent Robert Sins der katholischen Gemeinden Euskirchens. In einem gemeinsamen Gebet gedachten die beiden Geistlichen der Opfer des Holocausts und führten anschließend die Lichterprozession zum Denkmal der ermordeten jüdischen Mitbürger auf dem Annaturmplatz. Dort, wo einmal die Synagoge stand, erwiesen die Anwesenden durch ein auf Deutsch von Pfarrer Hoffmann vorgetragenes jüdisches Gebet und eine Schweigeminute, ihre Ehre.

Wenn man das Weltgeschehen von heute betrachtet, muss man sich leider oft fragen: Stehen wir etwa wieder an der Schwelle eines Zivilisationsbruches? Die Antwort sollte jeder nicht in den Medien oder auf den Sozialplattformen, sondern unnachlässig tief in sich selbst suchen. Die kleinen Feuer der Kerzen zu Fuße des Denkmals in Euskirchen werden es sicherlich nicht durch die Nacht geschafft haben. Hoffentlich schaffen es dieses Mal unsere Herzen.